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Titel
Konfession und Politik in der DDR. Das Wechselverhältnis von Kirche und Staat im Vergleich zwischen evangelischer und katholischer Kirche


Autor(en)
Heinecke, Herbert
Erschienen
Anzahl Seiten
508 S.
Preis
€ 38,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Klaus Große Kracht, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Der öffentliche Streit über das Verhalten hoher kirchlicher Amtsträger in der DDR im Umgang mit Staat und Partei ist mittlerweile abgeklungen. An die Stelle der Skandalisierung ad personam ist heute - das beweist eine schon quantitativ beeindruckende Anzahl einschlägiger Forschungsarbeiten - das Bemühen um eine differenzierte und sachliche Bestandsaufnahme kirchlicher Handlungsweisen unter den Bedingungen der zweiten deutschen Diktatur getreten. In der Tat erscheint heute, nicht zuletzt aufgrund der besseren Archivzugänge, die Religions- und Kirchengeschichte der DDR wesentlich besser erforscht zu sein als ihre westdeutsche Parallelgeschichte.

Der Großteil der Arbeiten bewegt sich methodisch jedoch auch weiterhin auf den hinlänglich bekannten Pfaden der ‚Kirchengeschichte‘ im engeren Sinne, die die ‚Haupt- und Staatsaktionen‘ der Kirchenleitungen gegenüber den Vorgaben des Staates im einzelnen nachzeichnet, die kultur- und mentalitätsprägende Kraft religiöser Überzeugungen jedoch weitgehend ausblendet. Auch an konfessionsvergleichenden Arbeiten besteht ein eklatanter Mangel, so dass die Arbeit von Herbert Heinecke, der die Frage nach dem Verhältnis von „Konfession und Politik in der DDR“ anhand eines Vergleichs zwischen evangelischer und katholischer Kirche zu beantworten versucht, nur begrüßt werden kann. Gleichwohl täuscht der Obertitel der Studie, die aus einer staatswissenschaftlichen Dissertation an der Universität Magdeburg hervorgegangen ist, über den eigentlichen Fokus des Buches hinweg, geht es in ihm doch weniger um ‚Konfessionen‘ im Sinne sozial-moralischer Großgruppen mit starken sozialethischen und politischen Hintergrundüberzeugungen als vielmehr, wie der Untertitel präzisiert, einmal mehr um das „Wechselverhältnis von Kirche und Staat“ in der DDR.

Heinecke konzentriert sich daher im Wesentlichen auf die drei Großinstitutionen, die dieses „Wechselverhältnis“ über vierzig Jahre hinweg getragen haben, d.h. den SED-Staat, sowie die katholische und die evangelische Kirche, die jeweils in einem ausführlichen Kapitel der umfangreichen Arbeit zunächst monographisch vorgestellt werden. Nach einem anschließenden, kürzeren Kapitel über die Entwicklung der Ökumene in der DDR bleiben für den eigentlichen „Konfessionsvergleich“, wie das abschließende Kapitel überschrieben ist, somit nur mehr gut dreißig Seiten der insgesamt über fünfhundert Seiten starken Untersuchung.

Im Kapitel über die staatliche Kirchenpolitik (S. 43-144) schlägt Heinecke einen weiten Bogen von den Grundzügen der SED-Ideologie und der Atheismusforschung über die kirchenrechtlichen Bestimmungen der Verfassungen von 1949 und 1968 sowie die Einrichtung der „Arbeitsgruppe Kirchenfragen“ beim ZK der SED und die Ernennung eines eigenen „Staatssekretärs für Kirchenfragen“ bis hin zu den unterschiedlichen Formen und Foren der wechselseitigen Gesprächs- und Kontaktaufnahme zwischen Staat und Kirche. Nicht zuletzt wird dabei auch auf das Problem der Unterwanderung der Kirchen durch das MfS eingegangen, das noch vor wenigen Jahren die Wogen der öffentlichen Erregung hochschlagen ließ, hier jedoch in einem angenehm sachlichen Ton verhandelt wird.

Wirkungsvoller als die Repressions- und Überwachungsmaßnahmen erscheint bei Heinecke schließlich die staatliche „Differenzierungspolitik“ gegenüber den Kirchen, die im Wesentlichen darauf gerichtet war, durch die Unterstützung loyaler Kräfte und „Mobilisierungsorganisationen“ (S. 97ff.) - etwa der evangelischen „Christlichen Friedenskonferenz“ oder der „Berliner Konferenz Europäischer Katholiken“, ganz zu schweigen von der Ost-CDU - die kirchlich-konfessionelle Einheit zu spalten und von unten Druck auf die Kirchenleitungen auszuüben.

Auch das Kapitel zur katholischen Kirche (S. 145-264) holt chronologisch weit aus und versucht im Rückgriff auf Erfahrungen während des Kulturkampfes und der NS-Zeit, die defensive, auf die Abschottung des engen binnenkirchlichen Bereiches gerichtete Strategie der katholischen Kirchenführung in der DDR bis in die achtziger Jahre hinein verständlich zu machen. Diese Strategie eines „Überwinterns“ im „fremden Haus“ (S. 222ff.) wurde nach dem Mauerbau nicht zuletzt von der auch innerkirchlich konservativen Amtsführung des Berliner Bischofs und Vorsitzenden der Berliner Ordinarienkonferenz (bzw. ab 1976 der Berliner Bischofskonferenz) Alfred Bengsch (1961-1979) flankiert, der nicht nur nach außen hin die kirchliche Tradition verteidigte, sondern sich auch gegen innerkirchliche Reformversuche - etwa im Gefolge des Zweiten Vatikanischen Konzils - stellte. So blieb die katholische Kirche in der DDR nicht nur aufgrund ihrer äußeren Situation als Diasporakirche mit einem abnehmenden Bevölkerungsanteil von acht Prozent auf vier Prozent über die Jahre hinweg vor allem eine „Klerikerkirche“ (S. 169ff.), in der sich trotz vielfältiger Ansätze an der Basis ein breites Laienengagement kaum ausprägen konnte.

Hielt die katholische Kirche in der DDR damit lange Zeit ihren aus der NS-Zeit ererbten Handlungsoptionen die Treue, so zeigen sich für Heinecke in der evangelischen Kirche stärkere Wandlungsprozesse (S. 265-383). Stellte diese sich anfänglich noch bewusst als „Volkskirche“ dar und nahm unter Berufung auf das geistig-moralische Erbe der „Bekennenden Kirche“ unter Führung des Berliner Bischofs und Vorsitzenden des gesamtdeutschen Rates der EKD Otto Dibelius dezidiert Stellung gegen die weltanschaulichen Grundlagen des ostdeutschen Teilstaates, so zwang der auch bei ihr immer deutlicher zutage tretende Mitgliederverlust - von 80 Prozent auf etwa 30 Prozent der Bevölkerung - die evangelische Kirche in der DDR immer mehr, ihren Status als „Minderheitenkirche“ im atheistisch geprägten Staatssozialismus zu reflektieren.

Nachdem von staatlicher Seite die Trennung von der EKD durchgesetzt worden war und die ostdeutschen evangelischen Landeskirchen sich 1969 zum Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR zusammengeschlossen hatten, wurde mit der Formel von der „Kirche im Sozialismus“ eine eigene theologische Standortbestimmung versucht, in deren Gefolge sich die evangelische Kirche - im Gegensatz zur katholischen - stärker auf die gesellschaftlichen, aber auch politischen Rahmenbedingungen des ostdeutschen Staates einließ.

Die synodale Organisationsstruktur der evangelischen Kirche in der DDR und ihre Gesprächsbereitschaft mit unterschiedlichen gesellschaftlichen und politischen Gruppierungen machten es einerseits der staatlichen „Differenzierungspolitik“ leicht, Einfluss auf innerkirchliche Entscheidungen zu nehmen. Andererseits eröffnete das kirchliche Selbstverständnis, Kirche nicht nur für sich, sondern „für andere“ sein zu wollen, zugleich einen Raum zur Artikulation politisch kritischer Stimmen, der von den Bürgerbewegungen der achtziger Jahre in hohem Maße genutzt werden konnte.

Im abschließenden Kapitel zum „Konfessionsvergleich“ (S. 429-469) fasst Heinecke noch einmal zusammen, was bereits im Hauptteil der Darstellung zum Ausdruck kam: „Im konfessionellen Vergleich der DDR-Kirchen dominiert in der evangelischen Kirche der Wandel, während in der katholischen Kirche die Kontinuitäten eine größere Rolle spielen.“ (S. 438) Zu Recht fügt Heinecke hinzu: „Selbst den distanzierten Beobachter wird dieses Ergebnis nicht überraschen“ (S. 439) - übrigens auch dann nicht, wenn Heinecke ausführt, dass die „unbestreitbar vorhandenen Strukturunterschiede [...] in der DDR verstärkt worden“ seien (ebd.). Verantwortlich für diesen Verstärkungseffekt macht er zum einen kircheninterne Faktoren (etwa die unterschiedlichen Organisationsstrukturen der Kirchen und ihre ebenso unterschiedliche Bereitschaft, sich in ihrer theologischen Standortbestimmung auf die historische Situation im Staatssozialismus einzulassen).

Zum anderen verweist er auf die staatliche Kirchenpolitik, die gegenüber der katholischen Kirche eher auf die Zurückdrängung in den kirchlichen Binnenraum ausgerichtet war, während sie gegenüber der evangelischen Kirche eher darauf zielte, diese zu einer grundsätzlich den Sozialismus bejahenden Einstellung zu bewegen. Sozialgeschichtliche Einflüsse - etwa der Niedergang des Bildungsbürgertums als klassischem Träger des Kulturprotestantismus in der DDR-Gesellschaft - werden von Heinecke als Faktoren der Wandlungsprozesse im ostdeutschen Protestantismus hingegen nicht herangezogen.

Das Buch bietet einen informativen Überblick über die Geschichte der evangelischen und katholischen Kirche in der DDR und ihres jeweiligen Verhältnisses zum Staat, zumal viele wichtige Aspekte von der Mitgliederentwicklung über die Organisationsstrukturen bis hin zu den grundsätzlichen pastoraltheologischen Ausrichtungen referiert und mit ausführlichen, zum Teil allerdings sehr lang geratenen Zitaten aus der Forschungsliteratur belegt werden. Dass auf eigene Quellenforschung, wie sie für eine empirisch ausgerichtete Dissertation eigentlich zu erwarten wäre, verzichtet wurde, ist angesichts des sehr breit gefassten Untersuchungsfeldes verständlich, bleibt jedoch ein Manko. Hilfreich wäre außerdem ein Register gewesen, um dem Leser, der das Buch zum Nachschlagen in die Hand nehmen möchte, die oftmals schwierige Navigation zwischen den beiden Polen von Kirche und Staat in der DDR zu erleichtern.

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